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K.o. im KZ

Bis in die 50er-Jahre hinein war Boxen eine der populärsten Sportarten in den USA - und bot zahlreichen Einwanderern die Möglichkeit, gesellschaftliches Ansehen und finanzielles Auskommen zu erlangen. Jüdische Einwanderer hatten im Boxen eine besonders starke Stellung. Von einem Schicksal handelt das soeben erschienene Buch "Eines Tages werde ich alles erzählen".

Von Johanna Herzing | 10.05.2009
    "Mein Vater war in unserer Nachbarschaft als 'Harry, der Kämpfer' bekannt und ständig fragten ihn die Leute, was in dem Marciano Kampf passiert sei - das war Mitte der 50er-Jahre. Er behauptete dann immer, dass er damals überhaupt keine Chance hatte, da ihm gesagt wurde, dass er sich hinlegen müsse. Das hat etwas Ironisches an sich, denn in den Konzentrationslagern wäre er umgebracht worden, hätte er verloren. In Amerika hingegen kamen diese Gangster in seine Umkleidekabine und erklärten ihm, dass sie ihn umbringen würden, falls er gewinnen würde."

    Hertzko "Harry" Haft - seine Karriere als Boxer währte nur kurze Zeit und eigentlich ist "Karriere" auch das falsche Wort, um zu beschreiben, was Hertzko Haft mit dem Boxen verband. Der Kampf gegen den amerikanischen Boxchampion Rocky Marciano im Jahr 1949 war Höhe- und zugleich Endpunkt einer Sportlaufbahn, die Haft sich niemals ausgesucht hatte, die aber entscheidend für sein Überleben war. Denn bevor Haft in Amerika zum Profiboxer wurde, hatte er einen anderen, ungleich härteren Kampf zu bestehen. Er war polnischer Jude. Die Konzentrationslager der Nazis überstand er, weil er zu Schaukämpfen gegen seine Mithäftlinge antrat. Alan Scott Haft hat die Geschichte seines Vaters aufgezeichnet:

    "Das Bemerkenswerte an seiner Karriere war, dass er zwar insgesamt nur zu 20 professionellen Kämpfen antrat, davor aber bereits 76 Mal im Konzentrationslager Jaworzno, einer Kohlengrube 16 Meilen nördlich von Auschwitz, gekämpft hatte. Das waren Kämpfe ohne Boxhandschuhe, Ko.-Kämpfe. Der Kampf war erst zu Ende, wenn einer der Gegner das Bewusstsein verlor. Obwohl er also nur zu 20 professionellen Kämpfen antrat, hatte er doch bereits einige Erfahrung."

    Hafts Geschichte hat ihren Ausgang in Polen. 1925 in einer Kleinstadt in der Nähe von Lodz geboren, wächst er in ärmsten Verhältnissen auf. Als ihn die deutschen Besatzer 1941 in ein Arbeitslager schicken, ist Haft gerade erst 15 Jahre alt. Es ist der Beginn einer Parforce-Tour durch etliche Konzentrations- und Arbeitslager, die in ihrem Horror kaum zu beschreiben ist. Im Lager Jaworzno päppelt ein SS-Offizier den jungen Mann zum persönlichen Gladiator, den er gegen andere Häftlinge antreten lässt. Die körperlich ausgezehrten und in der Regel untrainierten Gegner haben meist keine Chance.

    "Mein Vater betrachtete sich selbst als Helden, denn er hatte es geschafft, zu überleben. Er war ein Mann, der wirklich alles getan hätte, um zu überleben. Aber 2007, als man ihn in die Hall of Fame jüdischer US-Athleten aufnahm und ihn jemand nach den Kämpfen in den Lagern fragte, da empfand er große Reue. Schließlich wurden die Menschen, gegen die er antrat, nach dem Kampf entweder direkt ermordet oder in einen Transport nach Auschwitz gesteckt, um dort vergast zu werden. Alle diese Leben gingen also durch seine Hände und dieser Umstand machte ihn sehr betroffen."

    Als die Nazis das Lager Jaworzno im Frühjahr 1945 wegen der vorrückenden sowjetischen Armee auflösen, werden die Häftlinge auf Todesmärschen von einem Lager zum nächsten getrieben. Erst im April 1945 gelingt Haft die Flucht. Voller Angst und Hunger schlägt er sich durch die Wälder. Aus Furcht verraten zu werden, tötet er ein älteres Ehepaar, das ihm auf einem Bauernhof Unterkunft gewährt. Es sind diese Stellen, die das Schwarz-Weiß-Raster der heroischen Überlebensgeschichte durchbrechen. Einblicke in die Gefühlswelt des jungen Mannes muss sich der Leser jedoch selbst erschließen, die Erzählung schildert meist nur Ereignisse und Abläufe. Die Hauptperson bleibt dabei unnahbar und fremd. Alan Haft:

    "Er erzählte seine Lebensgeschichte als sei sie die eines Fremden. Es war schwer, auch nur eine Ahnung davon zu bekommen, was ihn bewegte. Ich glaube, wer so etwas durchgemacht hat, ist wie betäubt. Wahrscheinlich erlebt man diese Geschehnisse in einer Art Schockzustand. Die Erfahrungen, die er im Lager machen musste, haben ihn nie los gelassen. Die Albträume, die Wut, die Gewalt, die er im Lauf seines Lebens erfahren hat. Das alles hat ihn niemals los gelassen."

    Nach der Befreiung durch die Alliierten bleibt Hertzko Haft noch einige Zeit in Deutschland, bevor er 1948 mit 22 Jahren zu einem Onkel nach New Jersey auswandert. Die späten 40er sind die letzten goldenen Jahre des Boxens in Amerika. Auch Haft sieht darin seine Chance, Geld zu verdienen. Er lässt sich von einem Manager anheuern und steigt wieder in den Ring:

    "Ironischerweise hat das Boxen sein Leben gerettet. Aber die Kämpfe in den Konzentrationslagern waren keine echten Boxkämpfe. Als er dann nach Amerika kam und professionell boxte, hatte er überhaupt keinen Stil, er hatte das Boxen ja nie gelernt. Er hatte nur gelernt, zu kämpfen. Wenn dann die Glocke läutete, fing er einfach an zu prügeln und ließ in einem richtigen Gefühlsausbruch all seinen Hass an seinem Gegner aus."

    Obwohl Haft in seiner Zeit als Preisboxer aus 13 von 20 Kämpfen als Sieger hervorgeht und gegen zwei bedeutende Champions, Roland La Starza und Rocky Marciano antritt, verlässt er im Juli 1949 nach nur 18 Monaten endgültig den Ring. Ob Hertzko Haft diese Entscheidung trifft, weil das Boxgeschäft zunehmend von der Mafia regiert wird - wie er selbst sein Karriere-Ende begründete. Oder ob er als Profi-Boxer einfach scheitert, bleibt unklar. Das Boxen wurde letztlich nicht zum erlösenden Ventil für die extremen Gewalterfahrungen, die er erleben musste. Erst wenige Jahre vor seinem Tod im Jahr 2007 offenbarte Hertzko Haft seine Lebensgeschichte:

    "Mein Vater war ein gefürchteter Mann. Man wusste nie, woran man war. Er war ein wütender, gewalttätiger Mann. Nie konnte man ahnen, was ihn diesmal in Rage bringen würde. Es gab Zeiten, da zertrümmerte er jedes einzelne Fenster meines Hauses, warf mit Geschirr, schlug mich mit einem Riemen oder schleuderte mich auf den Boden und trat auf mich ein. Er war ein Mann, von dem man sich eher fernhalten wollte, denn sich zusammenzusetzen und zu unterhalten."

    Diese gescheiterte Beziehung zwischen Vater und Sohn ist es, die den Kern der Erzählung und deren Stärke ausmacht. Sie offenbart die zerstörerische Kraft einer Vergangenheit, die selbst Jahrzehnte später noch immer Leid hervorruft. Dass die Sprache, in der die Lebensgeschichte geschildert wird, wenig kunstvoll und bisweilen reißerisch ist, kann man bedauern. Auch wäre man als Leser dem Menschen Hertzko Haft in seinen Empfindungen gerne näher gekommen. Dennoch lohnt die Lektüre dieser Biografie, die ein Leben in all seinen Brüchen, Verletzungen und Fragwürdigkeiten aufzeigt.

    Alan Haft: "Eines Tages werde ich alles erzählen. Die Überlebensgeschichte des jüdischen Boxers Hertzko Haft" Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 200 Seiten zum Preis von 16,90 Euro.