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Bizarre Epidemie Lachen, bis die Ärzte kamen

1962 wurde Tansania von einer mysteriösen Krankheitswelle erfasst: Über Monate verfielen Tausende Bürger in anhaltende Lachanfälle, sogar Schulen mussten geschlossen werden. Die Ursache, die Ärzte fanden, war alles andere als lustig. einestages über die Lachkrankheit - und andere absurde Epidemien.
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Ansteckendes Lachen: Armut und Malariaepidemien erschweren heute die Lebensbedingungen im Osten Afrikas. Doch in den sechziger Jahren wurde der Staat Tansania, damals noch Tanganjika genannt, von einer weiteren, ungewöhnlichen Plage heimgesucht: Am 30. Januar 1962 brachen ein paar Schüler einer Internatschule im Dorf Kashasha am Victoriasee in lautes Gelächter aus - und hörten nicht mehr auf zu lachen.

(Das Bild zeigt das Dorf Shompole nahe der kenianischen Grenze zu Tansania am 24. Oktober 2007.)

Foto: ? Radu Sigheti / Reuters/ REUTERS
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Eine Welle kommt ins Rollen: Was die Lehrer zunächst noch als Albernheit abgetan haben mögen, entpuppte sich nach wenigen Wochen als eine ausgewachsene Epidemie, die Tausende befiel. Im Umkreis von Hunderten Kilometern brachen Menschen plötzlich ohne erkennbaren Grund in anhaltende Lachkrämpfe aus. Betroffen waren vor allem Kinder und Jugendliche.

Erst nach mehr als einem Jahr ebbte die bizarre Krankheitswelle allmählich wieder ab. Wissenschaftler vermuteten, dass es sich dabei um eine Massenhysterie gehandelt habe, ausgelöst durch die schwierigen Lebensbedingungen der Kinder in der Region. Heute ist die Lachkrankheit aus dem Leben der Tansanier wieder verschwunden.

(Das Bild zeigt eine Frau aus dem tansanischen Dorf Chole, die gemeinsam mit ihren beiden Töchtern aus Kokosnüssen Fasern für die Herstellung von Seilen anfertigt.)

Foto: AP
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Gefährliche Flimmerkiste: Während einer hektischen Kampfszene der beliebten Zeichentrickserie Pokémon erlitten am 16. Dezember 1997 in Japan Hunderte von Kindern vor dem Bildschirm krampfartige Anfälle. Rund 700 Zuschauer wurden in Krankenhäuser gebracht, die meisten von ihnen erholten sich jedoch bereits auf dem Weg.

Die Nachricht über die vermeintlich epileptischen Anfälle verbreitete sich sofort in den Medien - und die in den Nachrichten gezeigte Wiederholung der Serienszene löste eine zweite Anfallswelle aus. Die Ärzte stellten jedoch fest, dass die meisten Betroffenen gar keine Epileptiker waren. Der Soziologe Robert Bartholomew führte den Zwischenfall schließlich auf eine Massenhysterie zurück, die Ergebnis des erheblichen Erfolgsdrucks sein könne, der auf japanischen Kindern laste.

Foto: Getty Images
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Wer hat Angst vorm Affenmann? Im Mai 2001 erschienen in indischen Medien Berichte über Angriffe eines furchteinflößenden Affenmenschen in Delhi. Viele Menschen berichteten, nachts von der Kreatur angegriffen und verletzt worden zu sein. Manche beschrieben ihn als dunkle Kreatur, die ganz von Pelz überzogen sei, andere berichteten, der Affenmensch trage menschliche Kleidung und einen Helm und habe rot glühende Augen, wieder andere beschrieben das Wesen sogar als einen Roboter mit Stahlklauen.

Drei Menschen starben, als sie auf der Flucht vor dem imaginären Affenwesen Treppen hinunterfielen oder von Häusern sprangen. Schließlich häuften die Meldungen angeblicher Opfer sich so sehr, dass die Polizei mit Phantombildern nach dem Monster suchte. Der Affenmann wurde nie gefasst, die Berichte über angebliche Angriffe ebbten 2002 allmählich ab. Ganz vergessen wurde das fiktive Monster, das 2001 für eine Massenhysterie in Delhi sorgte, jedoch nicht: 2009 erschien der Bollywood-Film "Delhi-6", in dem das Affenmonster als ein Symbol für das Böse im Menschen auftritt.

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Echt Zucker, dieses Virus: 2006 wurde eine Folge der beliebten portugiesischen Seifenoper Morangos com Açúcar (Erdbeeren mit Zucker) ausgestrahlt, in der an einer Schule ein lebensgefährliches Virus ausbrach. Wenig später zeigten über 300 Kinder an verschiedenen Schulen Portugals ähnliche Symptome wie in der Serie - Atemnot, Schwindel und Hautausschlag.

Ärzte konnten jedoch keine Viruserkrankung feststellen. Den Schülern ging es bald wieder besser - das portugiesische Landesinstitut für medizinische Notfälle schloss seine Untersuchungen zum Fall schließlich mit der Diagnose ab, es handele sich um eine Massenhysterie.

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Tanzfieber: Im 14. und 15. Jahrhundert suchte die epidemische "Tanzwut" Europa heim. Gruppen von Menschen begannen plötzlich, zu schreien, singen und tanzen, mitunter litten sie an Halluzinationen.

Bis heute gibt es verschiedene Erklärungsversuche für die bizarre Volkskrankheit - sie reichen von epileptischen Anfällen über eine Vergiftung durch verdorbenes Getreide bis hin zu einer Massenhysterie als Reaktion auf Armut und die Pestpandemie, die vielen Menschen damals das Leben schwermachten.

(Die Abbildung zeigt das Ölgemälde "Tanz nach Molenbeek" von Pieter Brueghel dem Jüngeren aus dem Jahr 1564.)

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Zu Tode getanzt: Als bekanntester Ausbruch der Tanzwut gilt die Tanzepidemie von Straßburg im Jahr 1518. Im Juli des Jahres begann eine Frau Troffea, wie wild auf der Straße zu tanzen. Innerhalb einer Woche schlossen sich ihr 34 andere an, nach einem Monat tanzten bereits um die 400 Menschen wie besinnungslos durch die Straßen. Einige starben an Erschöpfung.

Die Stadtväter versuchten, das Tanzen durch Tanzen zu heilen - sie ließen eine Tanzbühne aus Holz errichten und bezahlten Musiker dafür, die Tanzenden mit ihrem Spiel weiter anzufeuern. Historiker führen die Epidemie auf eine Massenhysterie infolge einer Hungersnot in der Region zurück.

(Die Abbildung zeigt den Kupferstich "Die Wallfahrt der Fallsüchtigen nach Meulebeeck" von Hendrik Hondius aus dem Jahr 1564.)

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Familienjuwelendiebe: Als nigerianische Männer 1990 begannen, sich auf offener Straße nur noch mit schützend vor ihren Schritt gehaltener Hand zu zeigen, war dies keineswegs eine Anspielung auf den Tanzstil des Popstars Michael Jackson. In Nigeria hatte sich eine Massenpanik vor "Penisdieben" ausgebreitet - Fremden, die die Genitalien eines Mannes bei zufälliger Berührung in der Menschenmenge schrumpfen oder gleich ganz verschwinden lassen konnten.

Die schrullige Vorstellung hatte lebensgefährliche Folgen: Mehrfach wurden unschuldige Passanten vom aufgebrachten Mob als Penisdiebe beschuldigt und zu Tode geprügelt.

(Das Bild zeigt Michael Jackson bei einem Auftritt in Pasadena, Kalifornien, am 20. April 2002.)

Foto: AP
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Anschlagsopfer ohne Anschlag: Am Morgen des 21. Februar 2005 befällt eine mysteriöse Krankheit die Reisenden, die im Südterminal des Flughafens von Melbourne warten. Menschen übergeben sich und brechen zusammen, manche meinen, ein gefährliches Gas in der Atemluft der Wartehallen zu bemerken.

Aus Angst vor einem Terroranschlag wird das gesamte Terminal evakuiert, der Flugverkehr kommt für 2 Tage zum erliegen. Etwa 50 Personen - unter ihnen diese Angestellte der Virgin Airlines - werden ins Krankenhaus eingeliefert. Doch dort findet man keine körperliche Ursache für die Symptome der Betroffenen. Zugleich wird auf dem Flughafenterminal keine Veränderung der Atemluft festgestellt. Ärzte führen den Zwischenfall auf eine Massenhysterie zurück.

Foto: AP
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So ein Katzenjammer: 1844 berichtete der Medizinhistoriker Justus Hecker von einer Massenhysterie, die Nonnen zum miauen brachte. An einem französischen Kloster habe erst eine Nonne, dann von Tag zu Tag mehr der anderen Nonnen zu Miauen begonnen. Schließlich hätte das gesamte Kloster täglich mehrere Stunden zu festen Zeiten gemauzt - bis die vom unheimlichen Katzenlärm beunruhigten Anwohner ihnen Soldaten auf den Hals hetzten, die sie unter Waffengewalt zur Einstellung der Tiergeräusche zwangen.

(Das Bild zeigt einen Nonnenchor beim Singen am 17. April 2003 in Paris.)

Foto: Corbis
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Vorsicht, bissige Nonnen! Der deutsche Medizinhistoriker Justus Hecker gilt heute als Begründer der Seuchengeschichte. 1844 schrieb er über eine Beißepidemie, die von einem deutschen Nonnenkloster ausging: Erst eine, dann immer mehr Nonnen hatten dort begonnen, nach ihren Glaubensschwestern zu schnappen.

Mit den Berichten über das bissige Kloster breitete sich auch die Nonnenbissigkeit aus - vor allem in ostdeutschen Klostern, vereinzelt aber auch bis nach Holland und Rom fingen Nonnen plötzlich an, um sich zu beißen.

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Griff ins Klo: Am 21. März 1983 bemerkten Schüler einer Schule in Arrabah, einer Ortschaft im Westjordanland, den Geruch von Schwefelwasserstoff. Viele Kinder klagten über Atemnot und Schwindelgefühle. Die Gesundheitsbehörde vermutete einen Giftgasangriff und schloss die Schule, 60 Kinder wurden ins Krankenhaus eingeliefert.

Berichte über den Zwischenfall gingen durch die Medien, und in den kommenden Wochen zeigten Hunderte weitere Menschen im gesamten Westjordanland, überwiegend weibliche Teenager, dieselben Symptome. Doch sowohl im Blut sämtlicher Betroffener als auch an den Tatorten selbst konnten keine Toxine nachgewiesen werden.

Es stellte sich heraus, dass der seltsame Geruch, der die erste Welle am 21. März ausgelöst hatte, lediglich Gestank aus einer defekten Schultoilette gewesen war. Die über 900 Opfer der vermeintlichen Giftgasattacken waren Opfer einer Massenhysterie geworden.

(Das Bild zeigt die verwüsteten Toiletten einer Schule im Landkreis Darmstadt-Dieburg.)

Foto: dapd
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Anästhesist des Schreckens: Am 1. September 1944 berichtete eine Frau aus Mattoon, Illinois, sie und ihre Schwester seien in ihrem Haus mit einem süßlich riechenden Gas betäubt worden, das ein dunkel gekleideter Mann mit Mütze durch ein offenes Fenster hineingesprüht habe.

Nachdem die örtliche Zeitung von dem Fall berichtete, rissen die Berichte über Angriffe des "Phantom-Anästhesisten" nicht mehr ab: Die Polizei erhielt Anrufe von 29 anderen Opfern, die behaupteten, in ihren Häusern das süßliche Gas gerochen zu haben. Sie klagten über Schwindel, Übelkeit und Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Indizien für die Tat ließen sich jedoch nie finden.

Der Psychologe Donald Johnson, der sich mit dem Zwischenfall beschäftigte, kam zu dem Ergebnis, dass sich nach dem Zeitungsbericht eine Massenhysterie in Mattoon ausgebreitet habe, die zu den Symptomen führte.

(Das Bild zeigt einen Anästhesisten, der vor einer Operation in einem Londoner Krankenhaus am 1. Oktober 1938 einen Patienten mit Gas narkotisiert)

Foto: Getty Images
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Schnittiger Verbrecher: Im Jahr 1956 versetzte ein geheimnisvoller Übeltäter Taipeh zwei Wochen lang in Angst und Schrecken. Der Unbekannte zog nach Berichten seiner Opfer durch die Straßen, um zufällig ausgewählte Passanten mit einem Rasiermesser zu verletzen.

Die Zeitungen waren voll mit Berichten über den Gewalttäter, täglich meldeten neue Opfer Angriffe des Schlitzers von Taipeh. Die Ermittlungen der Polizei ergaben jedoch, dass die angeblichen Angriffe allesamt Falschmeldungen und die Schnitte entweder selbst zugefügt oder Ergebnis alltäglicher kleinerer Verletzungen waren. Eine Massenhysterie infolge sensationslüsterner Medienberichte hatte die Bewohner Taiphes dazu gebracht, jeden kleinen Kratzer als Verletzung durch den Rasiermessermann umzudeuten.

(Das Bild zeigt ein altes, klassisches Rasiermesser.)

Foto: ddp images
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Fliegende Jungfrau Auch der in manchen Konfessionen des Christentums betriebene Marienkult kann Auslöser einer Massenhysterie sein.

Am 25. Mai 1953 versammelten sich 150.000 Gläubige in der puerto-ricanischen Gemeinde Sábana Grande. Sieben Kinder des Orts hatten für diesen Tag die Ankunft der heiligen Jungfrau Maria angekündigt - über die Prophezeiung war ausgiebig in den Medien berichtet worden.

Der Soziologe Melvin Tumin untersuchte die Erlebnisse der Gläubigen direkt vor Ort: Viele Anwesenden sahen tatsächlich unerklärliche Dinge - unter anderem farbige Ringe, die sich um die Sonne bildeten oder die Silhouette der Jungfrau Maria in den Wolken. Viele Kranke spürten Heilung, selbst von unheilbaren Krankheiten. Das Ereignis gilt als gut dokumentiertes Beispiel einer religiösen Massenhysterie.

(Das Bild zeigt eine Marienstatue aus der Grotte von Lourdes.)

Foto: ddp images